Wirtschaftsmotor Mittelstand – Länder im Fokus: EU, Deutschland

Deutschland ist unser wichtigster Absatzmarkt: Diese Dauer-Weisheit könnte bald überholt sein. Im ersten Quartal 2019 kamen die USA erstmals heran. Mit einem Exportmarktanteil von 18,5 Prozent und einem Importmarktanteil von 27,1 Prozent ist Deutschland auch 2018 wichtigster Ausfuhr- und Beschaffungsmarkt für die Schweiz geblieben.

Das Gewicht des europäischen Marktes nimmt ab
Die politischen Beziehungen zwischen Bern und Brüssel sind angespannt. Das Rahmenabkommen steht auf der Kippe. Ein wichtiger, aber kaum beach-teter Aspekt dabei: Der Anteil der Schweizer Exporte in die EU sinkt seit Jahren. Das Land wird wirtschaftlich unabhängiger vom europäischen Binnenmarkt.

Auf eine bemerkenswerte und symbolisch wichtige Zahl verwies unlängst der welsche TV-Sender RTS: Schweizer Unternehmen haben im laufenden Jahr erstmals fast so viel in die USA exportiert wie nach Deutschland – dem Land, das wir seit Generationen als grössten Handelspartner der Schweiz kennen. So wurden im ersten Quartal 2019 Waren im Wert von 10 Milliarden Franken in die USA exportiert – nur rund eine Milliarde weniger als nach Deutschland. Das zeigen Daten der Eidgenössischen Zollverwaltung. Die Gesamtexporte in diesem Zeitraum umfassten laut Schweizerischer National-bank (SNB) knapp 80 Milliarden Franken gegenüber rund 60 Milliarden Importen.

Der Handelsaustausch der Schweiz mit dem nördlichen Nachbarn ist etwa gleich hoch wie mit Frankreich, Italien und China zusammen. Dies geht aus der neusten Umfrage „Wo steht der Schweizer Mittelstand?“ hervor. Die Ergebnisse der diesjährigen Umfrage zeigen Stolz und Selbstbewusstsein, doch auch kritische und unsichere Einschätzungen. Sie werfen die Frage auf, wie selbstbewusst – und zukunftssicher – die Schweiz als Exportnation noch sein kann in Zeiten, in denen das internationale Umfeld unsicherer denn je wird und die sozialen und Umweltanforderungen höher werden.

Die Unsicherheit um die künftigen Beziehungen zur EU und insbesondere zu Deutschland ist auf der Liste der Sorgen vom fünften Platz im Jahr 2018 auf den ersten Platz gesprungen und gilt als grösstes Konjunkturrisiko für das nächste Jahr. In punkto eigener Innovation, Standort Schweiz und Label «Swiss Made» bleiben die Unternehmen aber unverändert selbstbewusst. Und doch sehen viele Nachholbedarf bei der eigenen Innovationskraft.

Auch das Thema ESG (Environmental, Social and Governance) beschäftigt die Unternehmen stärker als zuvor, fast die Hälfte hat die Richtlinien umgesetzt – doch wie weit sind sie in der Unternehmenskultur auch verankert?

Gefahren in Sicht
Insgesamt verschiebt sich die Schweizer Exportwirt-schaft zugunsten der USA und China, während das Gewicht des europäischen Marktes leicht abnimmt. Die EU bleibt allerdings weiter wichtigster Handels-partner – mit rund 50 Prozent der Warenexporte und mehr als 60 Prozent der Importe. Allerdings zeigt die Entwicklung der vergangen drei Jahrzehnte, dass sich die Warenexporte geografisch verschoben haben.

Der Grund dafür war sicherlich die schwache Konjunktur im Euroraum während und nach der Eurokrise zwischen 2010 und 2015. Die Folge: Eine geringere Nachfrage nach Schweizer Produkten aus Europa. Ab 2015 kam nach der Aufhebung des Mindestkurses durch die SNB der starke Franken gegenüber dem Euro hinzu, welcher die Schweizer Exporte in die Länder der Eurozone weiter belastete. Gleichzeitig hatten Länder wie die USA und China ein viel stärkeres Wirtschaftswachstum. Zudem war der Franken gegenüber ihren Währungen nicht so stark überbewertet wie zum Euro – auch dies begünstigte die Ausfuhren in jene Länder. Hinzu kommt der Pharma-Boom in den USA: Die Pharma- und Chemieexporte in die USA haben sich seit dem Jahr 2000 versechsfacht und machen heute etwa 60 Prozent des Warenumsatzes in den USA aus.

Ob die Schweiz aufgrund der seit Jahren andauernden Verhandlungen mit der EU um ein Rahmenab-kommen sowie dem derzeitigen politischen Stillstand versucht, sich unabhängiger vom grossen Handels-partner Europa zu machen, ist nicht klar festzustellen. Vielmehr sprechen die schwächere Konjunktur in Europa im Vergleich zu den USA und China für die leichten Verschiebungen des Aussen-handels sowie das zeitweise ungünstige Wechsel-kursverhältnis zwischen dem Franken und dem Euro dafür.