BREXIT – AUFGESCHOBEN?
Das Brexit-Drama geht weiter, und der Zeitpunkt war mal wieder äusserst knapp.
Bis zum 31. Oktober 2019, 23 Uhr GMT, hatte die britische Regierung Zeit, weitere Vorschläge zur Abwendung eines möglichen Austritts aus der EU ohne Abkommen – des sogenannten «No Deal» – in Brüssel vorzulegen. Vorausgegangen waren Monate des Stillstandes, in denen bereits das Verstreichen des ursprünglich für Anfang März d.J. vorgesehenen Brexit-Austrittdatums zu verzeichnen war. Mit der dreimaligen Ablehnung des unter Johnsons Vorgängerin, Theresa May, mit der EU ausgehandelten Brexit-Vertrags und endlosen Debatten im britischen Parlament schien ein «No Deal» tatsächlich mehr als realistisch. Zur Erinnerung: Die Majorität der stimmberechtigten britischen Wähler hatte sich bereits im Juni 2016 für einen Austritt aus der EU ausgesprochen – doch über 3 ½ Jahre später scheint die Umsetzung dieses zugebenermassen Mammutprojekts das britische Parlament zuweilen zu überfordern. Zwar wurde die britische Regierung unter der Leitung des neuen Premierministers Boris Johnson nicht müde zu behaupten, dass, unabhängig von einer noch mit der EU zu erzielenden Einigung, das Vereinigte Königreich und Nordirland (UK) spätestens zum 31. Oktober d.J. aus der EU austreten würden. Einen «No Deal» galt es aber dennoch unbedingt abzuwenden. Denn mit diesem würde das Vereinigte Königreich aus Sicht der EU als Drittstaat ungeordnet und zukünftig ohne weitere Vorzugsbehandlung aus der EU ausscheiden, in dessen Folge WTO Regeln bzw. die Meistbegünstigungsklausel Anwendung finden würden. Gleichzeitig suchten also die politischen Akteure auf der Insel fieberhaft nach einer Lösung, den Gordischen Knoten, den «Backstop», zu lösen.
Unliebsamer «Backstop»
Dieser unliebsame, unter der Johnson-Vorgängerin Theresa May in den Austrittsverhandlungen ausgehandelte Passus sieht vor, dass bis zur Erzielung eines zukünftigen Vertrags mit der EU keine Grenzkontrollen zwischen Nordirland und der irischen Republik stattfinden sollten. Dieser wurde insbesondere unter Berufung auf das sogenannte «Karfreitag- Abkommen» erzielt, zur Vermeidung einer harten Grenze und eines befürchteten Wiederauflebens von politischen Unruhen entlang der irischen Grenze. De facto hätte das jedoch zur Folge gehabt, dass das Vereinigte Königreich weiterhin Mitglied der Zollunion mit der EU hätte bleiben müssen, wodurch EU-Bestimmungen weiterhin Anwendung finden würden. Darüber hinaus wäre es dem Vereinigtem Königreich nicht möglich, Freihandelsabkommen mit anderen Drittstaaten anzustreben. Beides war und ist der Tory-Regierung ein Dorn im Auge und nicht akzeptabel.
Auflösung – Zollgrenze Irische See?
Nachdem der drohende «No Deal» immer näher rückte, hatte sich Boris Johnson Mitte Oktober d.J. dann doch überraschenderweise mit der EU geeinigt. Die Neuerung? – Die zuvor erwähnte drohende Zollgrenze entlang der irischen Grenze würde nun zugunsten einer neuen Zollgrenze entlang der Irischen See zwischen der Britischen Insel und Nord-Irland verschoben. Hierfür müssten zukünftig Grenzkontrollen im Warenverkehr zwischen Nord-Irland und der Britischen Insel durchgeführt werden, wozu paradoxerweise auch die Sicherstellung und Kontrolle über die Einhaltung von EU-Zollvorschriften für Waren mit Endbestimmung und Verbleib in der Rep. Irland zählen würde. Das britische Parlament hatte sich im Oktober d. J. zwar grundsätzlich für den zwischen der EU und dem britischen Premierminister Boris Johnson geordneten Brexit-Vertrag ausgesprochen, hatte sich aber mehr Zeit ausbedungen, um über die inhaltlichen Aspekte dieses Vertragswerks zu befinden. Die von Boris Johnson eingeräumte Zeit, um über die Inhalte abzustimmen (drei Tage), wurden zu knapp bemessen. Was die zwischenzeitlichen neuen Parlamentswahlen am 12. Dezember ergeben werden, bleibt abzuwarten.
Neue Zoll- und Umsatzsteuerbestimmungen UK
Ob der politischen Volatilität wird zuweilen ein wenig vernachlässigt, welche neue Handelsbestimmungen die UK-Zollbehörde (HMRC) zwischenzeitlich eingeführt hat. Diese sollten aus Sicht der UK-Behörden eine antizipierte, durch den Brexit ausgelöste Mehrbelastung der britischen Wirtschaft reduzieren.
1. EORI
Die europäische Zollregistrierung (engl. EORI, European Operators Registration Identification) wird auch post-Brexit von der britischen Zollverwaltung übernommen. Diese bleibt Grundvoraussetzung, um als Zollanmelder gegenüber den UK-Zollbehörden auftreten zu können.
2. TSP – Transitional Simplified Procedure
Eine wesentliche Neuerung für UK-Einführer bildet das sogenannte vereinfachte Einfuhrverfahren (engl. TSP, Transitional Simplified Procedure), das übergangsweise nach einem Brexit eingeführt wird. Dies befreit UK-Einführer von der Pflicht, bei Grenzübertritt ins UK die Ware sofort einem Zollverfahren zu überführen. Vielmehr hat der Einführer ab dem Brexit sechs Monate Zeit, eine vollständige Zollanmeldung abzugeben. Nach diesem Zeitpunkt muss die Einfuhrverzollung am 4. Tag im Folgemonates der Einfuhr erfolgen.
3. Zollreduktion Einfuhr UK
Der neue UK-Zolltarif sieht eine Zollbefreiung für 87 % der derzeitigen HS-Zolltarifpositionen vor, und zwar unabhängig vom jeweiligen präferenziellen Ursprung. Gemäss jüngsten Aussagen der UK-Zollbehörden ist ferner vorgesehen, die Zollbefreiung sukzessive auszuweiten.
4. Verzicht Einfuhrsteuer
Derzeit muss ein Einführer ins UK neben Zöllen ebenfalls Einfuhrsteuer zum Zeitpunkt der Einfuhr an die UK-Zollbehörden überführen. Mit dem Brexit führt HMRC ein sogenanntes «postponed VAT accounting» ein. Ähnlich wie bereits heute schon in den Niederlanden (auf Antrag gem. Art. 23 der NL-Steuerbestimmungen), verzichtet die HMRC auf die Erhebung von Einfuhrsteuer. Die Einfuhrsteuer wird vielmehr buchhalterisch im Rahmen der monatlichen bzw. quartalsmässigen Mehrwertsteuererklärungen lediglich angerechnet.
Zusammenfassung
Die UK-Zoll- und -Steuerbehörden scheinen einen pragmatischen Ansatz zu wählen, um mittels Verfahrenserleichterungen post- Brexit die Auswirkungen für die eigene Wirtschaft in Grenzen zu halten. Es bleibt festzustellen, dass die EU-Zollbehörden für den Brexit keinerlei Verfahrenserleichterungen vorsehen, was wohl politisch motiviert sein dürfte. Ausnahme Frankreich: Der französische Zoll hat mit dem «SmartBorder»-Projekt einen Prozess ins Leben gerufen, um mittels digitaler Hilfe Ausfuhranmeldungen zu konsolidieren und diese mit Fahrer- bzw. LKW-Kennzeichen abzugleichen. Gerade im Warenaustausch über dem Ärmelkanal bietet das interessante Vereinfachungen.
swiss export Journal 1/20